Der stressige Alltag geht an kaum jemanden spurlos vorbei, einen Moment zum Durchatmen findet man in dieser Zeit kaum. Deswegen freue ich mich umso mehr auf das Waldbaden-Seminar. Weil es einfach drei Stunden sind, die ich mir bewusst Zeit für mich nehme.
Wie ich das Waldbaden für mich entdecke.

Doch was kann ich mir unter Waldbaden vorstellen? Was brauche ich? In einer kurzen Recherche finde ich Bilder von Leuten, die Bäume umarmen und mit geschlossenen Augen selig an Baumstämmen gelehnt sitzen. Sieht zwar ganz nett aus, aber so richtig vorstellen kann ich darunter trotzdem nichts. Auch der Hinweis, dass das „Shinrin Yoku“ (Waldbaden) aus Japan stammt und dort tatsächlich eine medizinische Anwendung ist, für die es ärztliche Rezepte gibt, hilft mir nicht weiter. Also beschließe ich meinen Laptop wieder zuzuklappen und mich ganz unvoreingenommen darauf einzulassen.

Ich komme am Taunus-Informationszentrum an und warte in herrlichstem Sonnenschein auf den Beginn. Um mich herum sammeln sich immer mehr Wald-Badegäste. Einige davon machen schon das zweite oder dritte Mal bei einem angeleiteten Waldbaden mit. Um Punkt 15 Uhr, begrüßt uns unsere Naturpark-Führerin Christine Colligs. Fröhlich erklärt sie uns, dass uns der Ruf des Kuckucks aus unserer Meditation lösen wird, da wir uns an der einen oder anderen Stelle sicher zerstreuen werden. Was wie eine spirituelle Prophezeiung klingt, stellt sich als Vogelstimmen-Pfeife heraus. Die sympathische Waldpädagogin nimmt diese für ihre Führungen, um die Teilnehmer um sich zu scharen.

Als erste Übung laufen wir schweigend in den Wald, versuchen die Ruhe in uns zu finden. Das stellt sich als gar nicht so leicht heraus, sind wir doch umgeben von zahlreichen Wanderern und Radfahrern. Doch kaum links abgebogen von der „Hauptverkehrsroute“ Richtung Großer Feldberg, befinden wir uns auf einer stillen Lichtung.

© Taunus Touristik Service e.V.

 

Wie geht nochmal dieses „Abschalten“?

Christine fragt, ob wir uns denn vorstellen können, warum wir im Wald besser abschalten und zu uns selber finden können. Die Antwort liefert prompt eine Teilnehmerin „In der Natur ist nichts anderes zu tun, als zu sein“. Ein interessanter Gedanke, der uns den Einstieg in die nächste Waldbaden-Übung führt. Wir sollen uns einen Platz suchen, uns aufstellen, die Augen schließen und uns nur auf unseren Atem konzentrieren. Jedes Mal, wenn sich ein Gedanke auftut, sollen wir diesen bewusst von uns schieben und weiter unserem Atemrhythmus folgen. Ich spüre eine leise Hemmung in mir, in dieser Übung loszulassen und einfach zu atmen, und mal bewusst an nichts zu denken. Das macht also der tägliche Druck aus uns.

Nach gefühlten 10 Minuten, die in der Realität übrigens nur 4 Minuten waren, löst uns der Kuckucksruf aus unserer Meditation. Vielleicht ist es doch schwerer einfach loszulassen, als ich es mir am Anfang vorgestellt habe. Christine erklärt uns, dass man jeden Tag 30 Minuten bis 1 Stunde meditieren sollte und wenn man keine Zeit hat, dann sollten es mindestens 1,5 Stunden sein. Und ich merke in diesem Moment, wie Recht sie damit hat. 4 Minuten haben mir gezeigt, dass ich es nur schwer aushalte, nicht die ganze Zeit zu funktionieren. Das war mal anders.
 

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Weiter geht es in dem offenen gestalteten „Meditationsraum“

Zwischen den Blättern scheinen immer wieder Sonnenstrahlen hindurch, die Vögel komponieren eine Hintergrundmusik, die kaum schöner sein könnte. Wir stoßen tiefer in den Wald, wo die Natur uns in Form von umgestürzten Bäumen einen Sitzkreis bereitgestellt hat. Wir nehmen uns einen Moment und sprechen über die Entstehung des Waldbadens. Der Trend, der aus Japan kommt, wurde tatsächlich in 30 Jahren Forschung von einem Arzt entwickelt.
Hier wurden zahlreiche Studien und Forschungen angestellt, die die heilende Wirkung des Achtsamkeits-Rituals bestätigen. So wirken sich die Mikroorganismen und ätherischen Öle der Bäume positiv auf den Körper aus. Die Düfte der Bäume, also die durch ätherische Öle angereicherte Luft, sorgt dafür, dass das Gehirn Hormone und Neurotransmitter ausschüttet, die das Stresslevel senken. Zudem wirkt das Grün der Wälder positiv auf die Psyche aus. Waldbaden ist auch viel langsamer als Wandern oder Spazieren gehen. Während man beim Wandern mit ca. 5 km/h durch den Wald läuft, ist es beim Waldbaden eher 1 km/h.

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Hier ist der Weg das Ziel.

Die Sache mit der Geschwindigkeit erkunden wir im Weiteren natürlich auch. Wir laufen den nächsten Abschnitt sehr bewusst, nehmen den Untergrund unter unseren Füßen genau wahr, nehmen unsere Bewegungen wahr. Um uns herum laufen die Wanderer, Jogger und Spaziergänger in normalem Tempo, was sich aus meiner Perspektive grade unerträglich hektisch anfühlt. Anfangs fällt es mir schwer, mich nicht von der Geschwindigkeit der anderen um mich herum beeinflussen zu lassen, doch Christine schafft es wie durch Zauberhand, dass die Teilnehmer ihren Fokus auf sich selbst richten. Manche schauen nur auf ihre Füße während des Laufens, andere verlieren ihren Blick in weiter Ferne oder im Blätterdach. So laufen wir andächtig über den lichten Weg.

Im Zuge des Seminars erkunden wir den Wald mit allen Sinnen. So stellt sich das Baumumarmen als Übung heraus, um den Tastsinn zu schulen, die Oberfläche der Rinde zu erkunden und die Einkerbungen und das Moos zu spüren. Und auch die Übung den Wald zu hören, ist eine interessante Erfahrung. Denn während ich vorher das Vogelgezwitscher als Hintergrund-Melodie wahrgenommen habe, rückt es immer mehr in den Fokus, je mehr ich loslasse und mich nur auf einen Sinn konzentriere. Auch das ständige Nachdenken lässt nach, die To-Do-Listen sind nicht mehr so präsent und das Zeitgefühl gerät völlig in den Hintergrund, je länger Christine mit uns den Wald erkundet.

Beim gemeinsamen Wald-Mandala-Legen, gestalten wir aus Stöcken, Rinden, Wurzeln, Bucheckern und Eicheln ein Bild auf dem Boden. Ein vergängliches Kunstwerk, das für den Augenblick geschaffen wurde, in dem es existiert und ein Danke an den Wald darstellen soll. Ein Danke, dafür dass wir zu Gast sein dürfen. Ein sehr netter Gedanke, denn der Wald ist ein Ort, der einem immer offen ist. Der einen Willkommen heißt, egal wie es einem geht und der nie fragt, ob die Schuhe zum Outfit passen. Als Lebensraum bietet er zahlreichen Tieren und Pflanzen ein Zuhause, in dem wir als Gast, der sich zu benehmen weiß, immer herzlich willkommen sind.
 

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Als ich nach dem Waldbaden wieder am Taunus-Informationszentrum ankomme, bin ich gelöst. Es ist schon wahr: Man kommt anders aus dem Wald heraus, als man hinein gegangen ist. Während ich jetzt am Schreibtisch sitze und mich der alltägliche Wahnsinn wieder umgibt, schließe ich die Augen und rufe mir das Blätterrauschen und die Vogelstimmen in Erinnerung.

Wenn ihr auch eine Waldbaden-Wanderung mitmachen wollt, findet ihr in unserem Veranstaltungskalender einige geführte Wanderungen. Wer an den angebotenen Terminen keine Zeit hat, findet hier auch individuelle Angebote.
 

Die Autorin

Leonie Maibach
Seit 15 Jahren ist Leonie Teil des Taunus Touristik Service. Als "Wehrheimer Määdsche" ist sie zwischen römischen Zeitzeugnissen und Apfelbäumen groß geworden. Die meisten Sehenswürdigkeiten kennt sie seit Kindertagen. Die Begeisterung für diese gibt sie heute an ihre eigenen Kinder weiter.
Lust auf weitere Geschichten...